Sonntag, 14. Oktober 2018

Sort price from low to high und wer billig kauft, kauft zweimal

Wie gelegentlich angekündigt, ist er hier nun: Der erste Blogeintrag aus unserem vorübergehenden Wohnsitz in Kapstadt. Die Verspätung – wir sind immerhin schon zehn Tage hier – lässt sich durch 100%ige Systemauslastung unsererseits in den vergangenen Tagen erklären.

Die Anreise zum Flughafen nach Frankfurt gelingt dank der Mithilfe unserer Väter weitgehend reibungslos. Entsprechend schaffen wir es völlig unerwartet nicht als Letzte, sondern immerhin als Drittletzte den Flieger zu besteigen. Der Flug über die Nacht verläuft auch ohne nennenswerte Vorkommnisse. Es erschließt sich mir lediglich nicht, weshalb man bei Start 22:15 Uhr noch ein Abendessen serviert bekommt. Da alle weiteren Familienmitglieder bereits mit dem Nachtschlaf  beschäftigt sind und der zammnemmsche (nicht: geizige) Erzgebirger nichts umkommen lässt, befinden sich kurz vor Mitternacht alle vier für uns vorgesehenen Portionen in meinem Magen.
Ankunft am Haus
Ankunft, Einreiseprozedur und Transport zu unserem Heim für das nächste Jahr gelingen derart problemlos, dass wir uns fragen wo der Haken ist. Nun: Wir sind zwei Stunden früher vor Ort und die Person, die die Hausübergabe machen soll, ist noch nicht verfügbar. Entsprechend übernimmt das jemand anderes, der aber von dem Haus auch nicht viel mehr versteht als wir. Die Kurzeinweisung in die hier übliche, und vielfach als unabdinglich angekündigte Alarmanlage fällt kurz aus und ich versuche das ganze mit Internet(halb)wissen abzurunden. So kommt es, wie es kommen muss: Vor dem Insbettgehen wird der Alarm scharf gemacht – man weiß ja nie. Nach drei Schritten weg von der Bedieneinheit bricht die Hölle los. Wenn ich ein Einbrecher wäre, würde ich jetzt schon allein wegen des gesundheitsgefährdenden Geräuschpegels das Weite suchen. Immerhin weiß ich den Code zum Entschärfen. Höchstens zehn Sekunden später klingelt das Telefon und die Security-Firma fragt was hier los ist. Ich soll ein Passwort nennen um mich zu identifizieren. Hiervon war bisher keine Rede … entsprechend haben wir drei Minuten später das Armed-Response-Kommando (https://www.adt.co.za/service/armed-response/) vor der Tür stehen. Mit viel Überredungskunst kann ich die charmanten jungen Herren überreden, dass wir die neuen Bewohner sind. Immerhin: Der Test der Sicherheitssysteme ist gelungen. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Funktion des Alarmsystems, bei der die Bewegungsmelder deaktiviert und nur die Sensoren an Türen und Fenstern aktiviert sind, nicht ordnungsgemäß programmiert ist. Die vorhergehenden Bewohner haben in den 20 Jahren, in denen sie hier lebten, den Alarm während der Nacht nie benutzt. Vorfälle gab es wohl nicht – und das obwohl unser neues Anwesen im Vergleich zu den Nachbarn mit Sicherheitstechnik derart kümmerlich bestückt ist, dass ich es als Einbrecher wenn dann dort versuchen würde. Vermuten potenzielle Einbrecher eine Falle oder etwa dass es hier nichts zu holen gibt oder sind die Nachbarn vielleicht alle etwas paranoid? Fragen über Fragen.
Unser Haus
Die folgenden Tage verlaufen etwas holprig. Irgendwo schnappe ich den Spruch auf: „The Europeans invented the bureaucracy, the (South) Africans perfected it“. Den Wahrheitsgehalt der Aussage kann ich nun bestätigen. Eigentlich hätte uns das aber auch schon nach der Visumsprozedur klar sein müssen, als wir einen Aktenordner voller Dokumente in der Südafrikanischen Botschaft in Berlin abgaben. Sehr erfindungsreich fand ich auch die Anforderung der Kopie einer beglaubigten Kopie des Originals meiner Promotionsurkunde bei der Anmeldung an der Universität Kapstadt (und das ganze nachdem das Original meiner Promotionsurkunde bereits sicher in einem Umzugskarton in einem Keller an einem geheimen Ort in Deutschland verstaut war). Da können deutsche Behörden durchaus noch was lernen!
 
Interessant gestaltet sich ebenfalls der Transfer eines Teils unseres Haushaltes per Luftfracht. Es war bereits in Deutschland ein nicht ganz einfaches Unterfangen, eine Spedition zu finden, die das für uns macht. Es gibt tausend Dienstleister, die Dir, falls gewünscht, das ganze Haus rund um den Globus schicken und bei denen Du nichtmal Deine Kisten selbst einpacken darfst (einen Möbelpacker lasse ich gewiss nicht unsere Räder in die Kiste verfrachten!). Wenn Du allerdings ein paar lausige Kartons verschicken willst – und noch dazu als Privatperson – sieht es ziemlich düster aus. In Dresden finden sich genau zwei Optionen: DB Schenker und Spedition Kroll. Zu DB sage ich nichts weiter außer dass ich bis heute noch auf ein Angebot von denen warte. Kroll eilt der Ruf voraus, alles zu machen, was kein anderer annimmt. Hier wird uns dann auch kompetent geholfen … wenn da nicht noch die Sache mit dem südafrikanischen Zoll wäre. Alle Versuche im Voraus herauszufinden, was uns diesbezüglich erwartet, scheitern kläglich. Bei meiner ersten telefonischen Bemühung der Kontaktaufnahme mit der zuständigen südafrikanischen Behörde lande ich bei der Einkommenssteuerabteilung, die mir freilich wenig helfen kann. Versuch Nummer zwei wird damit quittiert, dass man mir keine Auskunft ohne AWB-Nummer (Airway-Bill-Nummer) erteilt. Nachdem ich eine solche habe, heißt es pauschal, dass ich einen Verzollungsagenten brauche. Bei der Lektüre der südafrikanischen Gesetze zur Einfuhr und der Zolltarifliste bekomme ich es mit der Angst zu tun, dass unsere Sachen entweder verbrannt oder im Ozean versenkt werden. Letztendlich lautet der Entschluss: Abwarten was passiert. Entsprechend geht’s nach der mutmaßlichen Ankunft der Sendung auf den Flughafen. Mit im Gepäck: Ein Verwandter der Besitzer unseres Hauses, der sich dankenswerterweise bereit erklärt hat, mir zu helfen sowie ein Bakkie (südafrikanisch für Pick-up) in erbärmlichem Zustand. Folgerichtig ist die erste Maßnahme, dass wir von der Polizei angehalten werden, weil ein Nummernschild abgefallen ist. Auf dem Flughafen wird’s die Suche nach dem Passierschein A38 reloaded. Wir weisen uns achtmal (!) an der gleichen (!) Sicherheitskontrolle aus und drehen zwischen vier verschiedenen Stellen Kreise um diverse Stempel, etc. zu holen. Die Beschreibung des Gesamtvorgangs würde den Rahmen hier endgültig sprengen. Ohne die Erfahrung des Einheimischen würde ich sicher heute noch im Kreis laufen. Der Zöllner nimmt es schließlich sehr genau und inspiziert jede Schiene der Holzeisenbahn unserer Kinder einzeln. Dass nur ja kein europäischer Holzwurm eingeschleppt wird. Der Zöllner trieft dabei am ganzen Körper (ich habe mir viel Mühe gegeben beim Packen …). Irgendwann gibt er augenscheinlich dehydriert auf und erteilt die Freigabe.
Die Luftfracht hat Ihren Bestimmungsort erreicht
Als äußerst komplex erweist sich auch das Thema Transport. Für die ersten Tage haben wir einen Mietwagen. Da die Vermietung nichts anderes hat, handelt es sich um einen mit Handschaltung. Linksverkehr hatte mir bisher keine allzu großen Probleme bereitet. Aber mit der linken Hand schalten verleiht dem Ganzen eine andere Qualität. Gewürzt wird das ganze noch mit einem Gaspedal, bei welchem der Unterschied zwischen „kein Gas“ und Vollgas sich auf zwei Millimetern abspielt. Entsprechend gibt es nur zwei Möglichkeiten: Wir starten an der Ampel mit Burnout oder die Karre geht aus. Grundsätzlich hatten wir nach Vorrecherchen schon geahnt, dass der Besitz eines Autos in Kapstadt unabdinglich ist. Diese Ahnung wird bereits in den ersten zwei Tagen Gewissheit. Blauäugig wie ich bin, denke ich, wir gehen zu einem Gebrauchtwagenhändler, suchen uns dort was aus und den Rest (Zulassung, „Roadworthy“=TÜV) klärt der Händler für uns. Das ganze wird zur Lachnummer. Ich fahre 1,5 Tage durch Kapstadt um Autos auszuprobieren. Da sich die Autohersteller nicht einig sind, auf welcher Seite der Blinkhebel anzubringen ist, zeige ich beim Probefahren die Richtungswechsel wahlweise durch Blinken oder Scheibewischen an. Die Autos, die man mir für umgerechnet 5000-6000 Euro andrehen will, würde man bei uns nichtmal für 500 Euro nach Polen loskriegen. Dass die Preise hier aufgrund der Notwendigkeit eines Autos hoch sind, war mir schon bewusst, der Zustand der Autos allerdings nicht. Schließlich stellt sich zu allem Überfluss noch heraus, dass man sich um die Straßentauglichkeit und die Zulassung in der Regel selbst zu kümmern hat. Dazu benötigt man eine „Traffic Registration Number (TRN)“. Diese zu erhalten kann bis zu sechs Wochen dauern. Weitere Recherchen ergeben, dass völlig unklar ist, ob ich mit meinem Visum überhaupt eine TRN beantragen darf. Die Berichte aus dem Internet sind hier uneinheitlich und ich vermute in der Realität ist die Verfahrensweise abhängig von der Laune des Beamten. Anrufe bei der zuständigen Behörden ergeben nichts Brauchbares. Wir lernen: in Südafrika ist es so, dass Du, wenn Du zehn verschiedene Leute aus der gleichen Behörde fragst, zehn verschiedene Antworten bekommst. Unter anderem legt man uns nahe, das Formular BI-1707 mitzubringen. Weitere Recherche ergibt, dass es sich hierbei um einen Asylantrag handelt. Toll. Die pragmatische Lösung: Wir werden wohl von jemandem, der sein Auto eigentlich privat verkaufen wollte, das selbige (formal) mieten … man muss sich eben den Randbedingungen anpassen. Für den Transport der beiden Jungs in den Kindergarten (sie gehen erfreulicherweise sehr gern dorthin) haben wir zwischenzeitlich den mutmaßlich ersten Kinderanhänger in Kapstadt im Einsatz – inklusive Besen zur Erhöhung der Auffälligkeit im Straßenverkehr. Ich hätte nie gedacht, dass unserem uralten Kindercar-Doppelsitzer noch einmal eine solche Aufmerksamkeit zuteil werden würde. Wir haben bisher an keiner Ampel angehalten ohne dass jemand die Scheibe runtergeleiert hätte, um seine Begeisterung zum Ausdruck zu bringen. Häufig werden wir nach Preis und Herkunft gefragt. Vielleicht ist der Import von Kinderanhängern eine gewinnversprechende Marktlücke!? 
Die erste Fahrt zum Kindergarten
Ein weiteres zentrales Thema stellt die Möblierung unseres Hauses dar. Hätte eine ansonsten vergleichbare Alternative bestanden, hätten wir uns natürlich für die möblierte Variante entschieden. Aber die Möblierungsaktion ist auch nicht schlecht: so lernt man gleich Land und Leute kennen. Allerdings brauchen wir eine Woche bis wir alle ein Bett haben und nicht mehr auf dem Fußboden respektive der Küchenanrichte speisen. Hinsichtlich Waschmaschine finden wir ein Inserat auf Gumtree (südafrikanisches Ebay-Kleinanzeigen-Äquivalent), welches lautet: „Old washing machine for sale, wife decided we needed a twin tub, so I got one for her“. Das klingt ausgesprochen seriös, also entscheiden wir das Ding zu kaufen. Als ich es abholen will, begrüßt mich erstmal „stink dog“, der mich ableckt. Der Besitzer und Waschmaschinenverkäufer erklärt mir, dass es nix bringt den Hund zu waschen, weil er hinterher noch mehr stinken würde. Hier hätte ich vielleicht lieber misstrauisch werden sollen. Trotzdem nehme ich die Waschmaschine mit. Beim Anschließen der Waschmaschine gibt das Warmwasserventil an der Wand den Geist auf (Waschmaschinen werden hier tatsächlich mit Kalt- und Warmwasser betrieben), woraufhin der Raum unter Wasser steht. Eine nähere Inspektion der Waschmaschine ergibt, dass diese innen genauso stinkt wie „stink dog“. In Kombination mit obiger Aussage des Waschmaschinenverkäufers, liegen die Schlussfolgerungen nahe, dass (1) der Hund in der Waschmaschine – ggf. unter Einbeziehung der „Samsung Wobble Technology“ – gewaschen wurde und (2) nicht die Waschmaschine wegen des Hundes stinkt , sondern der Hund wegen der Waschmaschine. Unklar bleibt jedoch, weshalb die Waschmaschine so stinkt. Wir entscheiden uns schließlich für einen „Eco Tub clean“. Das klingt gut und ökologisch. Dumm nur, dass dieses Programm offenbar vorsieht, dass die Waschmaschine geschätzte 50 Mal randvoll mit Wasser gelassen und anschließend wieder abgelassen wird. Ein kurzer Überschlag ergibt, dass eine Trommel ca. 60 Liter fasst. Mit „Level-Five-Water-Restrictions“ folgt, dass wir mit der ganzen Maßnahme ein Drittel unseres monatlich zugelassenen Wasserverbrauchs ausschöpfen würden. Also nix „Eco Tub clean“, sondern große „Sch****“. Es bleibt keine Alternative, als mit extra viel Waschmittel zu waschen, damit wir nicht alle wie „stink dog“ riechen. Sensationell sind auch unsere Vorhänge, die wir bei Woolworths erstehen. Getreu unserem Wochenmotto #1 „Sort price from low to high“ nehmen wir nämlich die billigsten. Die müssen ja nur ein Jahr halten. Dumm nur, dass sich diese daheim als faktisch transparent herausstellen. Damit wären wir auch schon bei Wochenmotto #2: „Wer billig kauft, kauft zweimal“. Siehe auch der Besen, der jetzt sein Dasein am Fahrradanhänger fristet.
 
Nach den anfänglichen Wirren zieht nun aber langsam Ruhe ein. Am Freitag war ich das erstmal richtig an meinem Arbeitsplatz an der Uni. Die Mountainbike-Trails im Umland wurden bereits einer eingehenden Exploration unterzogen, wobei Laura mit ihrer ausgeprägten Schlangenphobie natürlich gleich Freundschaft mit einer Puffotter geschlossen hat. Wenn nächste Woche noch die Sache mit dem Auto klappt, sind wir endgültig „settled in“. Respekt vor jedem der diesen Satz noch liest.
 
Anbaden im Atlantik
Chapman's Peak Drive
Die nördlichste Pinguinkolonie der Welt
Unser Schlafzimmer: Gefängniszelle mit Ausblick
Waterfront #1
Waterfront #2