Samstag, 28. März 2020

Lockdown

Eigentlich wollten wir uns jetzt gerade am Packen für unsere Rückkehr nach Deutschland am 31.3. befinden. Die Betonung liegt dabei auf „eigentlich“, denn es kommt ja eigentlich immer anders als man denkt.

Doch beginnen wir der Vollständigkeit halber mit dem üblichen Blog-Einstieg. Beim Klapperkasten aus Rüsselsheim wurde letzten Endes eine hochgegangene Kopfdichtung diagnostiziert. Die Tatsache, dass der Vermieter des Wagens versuchte, uns mit allen verfügbaren Mitteln auf Basis des wachsweich formulierten Mietvertrages an den Kosten zu beteiligen, veranlasste uns nochmal nach einer Alternative zu suchen. Dies führte uns schließlich zu Waleed B. Er war mir bereits seit einiger Zeit als professionellster Amateur-Radsportler der Welt bekannt. Wo andere ein Höhenzelt haben, hat er ein Höhen-Appartment. Letzteres kann er sich leisten, weil er ein deutlich talentierterer Geschäftsmann als Ausdauersportler ist. „Wer mich nicht kennt, hat nie in Kapstadt gelebt“ ist sein Credo. Unter anderem zählt zu seinem Portfolio das Taxiunternehmen, welches uns bei unserer Anreise in Südafrika vom Flughafen zum Haus beförderte (natürlich ohne ihn damals zu kennen). So gelangten wir letztlich zu einem roten Caddy mit dem Nummernschild CAB 1. Trotz hoffnungsloser Untermotorisierung leistete dieser uns schließlich treue Dienste bis zu seiner Rückgabe am vorgestrigen Tage. Was für ein langweiliges Auto …

Radfahrtechnisch stand zunächst das Attakwas im Januar an. Nachdem wir letztes Jahr noch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unter der Überschrift „Abenteuerexperiment“ teilgenommen hatten, war die Sache in diesem Jahr besser vorbereitet. Unsere beiden auf Enkelbesuch angereisten Mütter kümmerten sich um den Nachwuchs, während wir die 120-Kilometer unter die Räder nahmen. Allerdings mussten wir wieder einmal feststellen, dass eine bessere Vorbereitung (und bessere Form) nicht unbedingt ein besseres Ergebnis nach sich zieht. Während Laura einen rabenschwarzen Tag auf dem Rad hatte und mit Platz fünf ihr Vorjahresergebnis marginal um einen Platz verbesserte, lief es für mich im ersten Drittel des Rennens vielversprechend gut … bis der vermutlich einzige andere deutsche Teilnehmer im Rennen, der (in der Folge) platte Karl, einen großen Felsbrocken mit dem Hinterrad erwischte. Dieser flog von dort gegen meine vordere Bremsscheibe, die dann in einer Art und Weise verbogen war, wie ich es noch nie gesehen habe. Irgendwie gelang es mir zwar nach einer Weile, die Sache wieder so zurecht zu biegen, dass ein Weiterfahren möglich war, aber danach war das Rennen praktisch gelaufen. Zum einen waren die Bremsbeläge nach kurzer Zeit weg (ein Hoch auf die Stahlträgerplatten, ohne welche die Kolben der Bremse ohne Zweifel auch im Nu verschwunden gewesen wären) und zum anderen kostete der Aufholvorgang zuviel Kraft; und meine eigene Verpflegung habe ich in dem Zusammenhang wohl auch vernachlässigt. Am Ende konnte ich nur noch um Platz sechs, welches meiner Vorjahresplatzierung entsprach, sprinten. Da ich bei UCI-Marathon-Series-Rennen eigentlich immer Sechster werde und mein Minimalziel daher Platz fünf war, gewann ich, der sonst nie einen Blumentopf im Sprint gewinnt, den Sprint souverän.



Das vier-tägige Tankwa Trek wollten wir eigentlich beide fahren. Allerdings musste Lauras Partnerin verletzt passen, sodass letzten Endes nur ich mit meinem Partner vom Wines2Whales, Robert Hobson, am Start stand. Auch das Resultat dieser Maßnahme war ernüchternd. Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei irgendeinem Rennen in Südafrika einen nennenswerten Platten gehabt zu haben, was bis zu diesem Zeitpunkt eine bemerkenswerte Tatsache war. Doch beim Tankwa Trek wurde die Statistik unerbittlich gerade gerückt. An drei von vier Tagen hatte ich einen kapitalen Platten, davon zwei in der Startphase. Im dritten Fall hatte ein spitzer Gegenstand das Felgenband an einem Speichenloch durchstochen, während der Reifen im Wesentlichen unbeschädigt war. Wir haben schon arg an uns gezweifelt, als wir Kartusche für Kartusche in den Reifen schossen ohne herauszufinden wo die Luft wieder raus kommt ... aber sicher passiert einem das nur einmal im Leben, sodass man den Vorfall nicht mal in die Kategorie „Erfahrung gesammelt“ einordnen kann. In jedem Fall hätte mir spätestens an diesem Punkt klar werden müssen, dass es ein Seuchen(!)jahr wird ...


Als „Abschlusshighlight“ unseres Südafrika-Aufenthaltes wollten Laura und ich nochmal gemeinsam am Cape Epic teilnehmen, welches Mitte März starten sollte. Eine Woche vorher flogen meine Eltern sowie Lauras Vater Uwe ein. Während wir für die Väter ebenfalls einen Startplatz ergattert hatten, sollte meine Mutter die Kinderbetreuung übernehmen. Die unmittelbare Rennvorbereitung lief, im Gegensatz zum Vorjahr, verdächtig gut … bis zwei Tage vor dem Startschuss die ganze Maßnahme aufgrund der Seuche C***** (Synonym für Sch****) abgeblasen wurde. Auch wenn dem Veranstalter sicher kaum eine andere Wahl blieb, war die persönliche Enttäuschung in Anbetracht von Vorbereitungs- und finanziellem Aufwand groß. Anstatt Rennen zu fahren, fanden wir uns plötzlich zu acht in unserer Kapstädter Wohnung wieder. Ich argwöhnte bereits, dass uns zum 31.3. mit Sicherheit kein Flugzeug mehr nach Hause befördert; und die äußerst komplexe Fragestellung, wie die Situation zu beurteilen und mit ihr umzugehen sei, führte zu vorübergehenden, nicht ganz unerheblichen intrafamiliären Differenzen. Letzten Endes konnte jedoch der Konsens erzielt werden, dass möglichst schnell Marsch- bzw. Abflugbereitschaft herzustellen sei. Mit Beginn dieser Woche ging es dann Schlag auf Schlag. Während Uwe am Montag noch regulär das Land verlassen konnte, wurde der Rückflug meiner Eltern abgesagt. Spätestens als Montagabend der südafrikanische Präsident einen dreiwöchigen Lockdown des Landes ab Freitag ankündigte, war klar, dass Südafrika schnellstmöglich zu verlassen sei. Alle Versuche andere Flugtickets für meine Eltern zu ergattern, scheiterten allerdings zunächst kläglich. Für uns selbst gestaltete sich die Lage noch deutlich komplizierter, da wir neben uns fünf Köpfen ja auch noch einen halben Haushalt zu transportieren haben, was die Logistik erheblich erschwert. Lauras Oma, als hocheffiziente Nahkampfwaffe bei der Lösung derartiger Probleme bekannt sowie von Hotline-Mitarbeitern gefürchtet, wurde in die Spur geschickt. Letzten Endes brachte uns das im Verlaufe des Mittwoch Tickets für einen vom Auswärtigen Amt veranstalten Rückholflug für den gestrigen Freitag ein. Mit einer weiteren Mitteilung des Präsidenten am Mittwochabend, welche den Lockdown konkretisierte, stellten sich dann allerdings erste Fragen, wie ein solcher Rückholflug unter den Bedingungen des Lockdowns überhaupt realisiert werden könne. Folgerichtig gab es am vorgestrigen Morgen die Mitteilung, dass jeglicher Passagierverkehr am Flughafen in Kapstadt während des Lockdowns eingestellt wird. Eine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Südafrika und dem Auswärtigen Amt ergab allerdings, dass „man davon ausgehe, dass der Rückholflug dennoch wie geplant durchgeführt werden kann“. Trotz fraglicher Evidenz und hohen Risikos wurde die Entscheidung getroffen, die finalen Rückflugvorbereitungen zu starten. Auf irgendwas muss man sich ja verlassen. Verbliebene Nahrungsmittelbestände und Geschirr wurden unter die Leute gebracht, der verkaufte Kühlschrank und die verkaufte Waschmaschine ausgeliefert, das Auto zurück gebracht, die offizielle Abschlussinspektion der Wohnung durchgeführt, etc. Kurz nach Abschluss dieser Maßnahmen trudelte vorgestern Abend selbstredend die E-Mail der Deutschen Botschaft ein, dass „der Rückflug aller Voraussicht nach [nun doch] nicht wie geplant durchgeführt werden kann“. Letzteres wurde inzwischen zur Gewissheit. Die Deutsche Botschaft arbeite zwar an einer schnellstmöglichen Lösung, aber ehrlich gesagt ist mir unklar, wie diese unter den gegenwärtigen Bedingungen aussehen kann. Insofern bereiten wir uns gedanklich darauf vor, die kommenden drei Wochen in unserem leer geräumten Cottage eingesperrt zu siebt unser Dasein zu fristen. Die einzigen infrage kommenden Gründe die Bude noch zu verlassen sind medizinische Notfälle sowie Lebensmittel einkaufen beim nächstgelegenen Laden. Immerhin ist gleich um die Ecke ein Tante-Emma-Laden, sodass es sich nicht als Nachteil erweist, kein Auto mehr zu haben.

Soweit zum Tatsachenbericht. Inwieweit die gegenwärtige weltweite Anti-C*****-Maßnahmenflut sinnvoll ist, vermag wohl keiner sicher zu sagen, da der Wissensstand in vielerlei Hinsicht zu gering ist um einigermaßen zuverlässige Prognosen treffen zu können. Unabhängig davon ist für mich allerdings bemerkenswert, dass es einem Großteil unserer Wohlstandsgesellschaft bei genauer Betrachtung sch***egal ist, wie viele Menschen jeden Tag verhungern, wie viele Menschen ohne medizinische Versorgung an bei uns längst ausgerotteten Krankheiten verrecken, und was für eine Umwelt unsere Nachfahren vorfinden werden. Mit sch***egal  meine ich dabei, dass man nie bereit wäre, sich für die Verringerung oder Behebung dieser globalen Missstände selbst stark einzuschränken. Nun aber, wo die Klinge auch nur in die Nähe unseres eigenen Halses kommt, ist eine nie dagewesene Einschränkungs- und Maßnahmenhärte plötzlich mehrheitlich denkbar und erwünscht. Plötzlich sind wir bereit, alles Erdenkliche zu tun, um zu verhindern, dass jemand aufgrund mangelnder medizinischer Kapazitäten infolge einer Lungenentzündung erstickt; wenn dagegen irgendwo in Afrika die Ernte ausfällt und die Leute reihenweise elendig verhungern, geht uns das praktisch am Ar*** vorbei. Ironischerweise zählen „Selbstlosigkeit“ und „Solidarität“ vermutliche gerade zu den meistbenutzen Wörtern in den (sozialen) Medien ...

Auch finde ich es bemerkenswert, wie wenig das Gesamtbild in der öffentlichen Diskussion Berücksichtigung findet. Gegenwärtig wird vielerorts nahezu alles gemacht, was die Verbreitungsgeschwindigkeit von C***** reduziert. Auch wenn es unserer Umwelt nützen dürfte, sind die mit dieser Strategie einhergehenden Kollateralschäden unabsehbar. Der gerade im in jeder Hinsicht fragilen Südafrika durchgeführte knallharte Lockdown ist für mich in diesem Sinne besonders schwer nachvollziehbar. In den Townships, die durch C***** mutmaßlich aufgrund der hohen Rate an Immunsupprimierten und der hohen „Packungsdichte“ am stärksten betroffen sein werden, dürfte der erwünschte Effekt des Lockdowns gering sein, da Ausgangssperren dort weder umzusetzen noch zu kontrollieren sind. Allerdings führt der Lockdown dazu, dass viele Menschen dort keinerlei Einkommen mehr haben; und für großflächige Lebensmittelverteilaktionen dürften dem Staat die Mittel fehlen. Da die Leute in den Townships ohnehin von Tag zu Tag leben, muss man befürchten, dass es nicht lange ruhig bleibt. Und was passiert wenn dann noch C***** (ich bin mir sicher, dass es schon unbemerkt in den Townships ist) obendrauf kommt, will ich mir gar nicht ausmalen. Vorerst hoffe ich mal, dass ich bei meiner Rechnung noch irgendwo eine Unbekannte vergessen habe und die stets optimistischen und krisenerprobten Südafrikaner mit ihrer Prognose, dass es schon nicht so schlimm kommt, recht behalten …

Fazit: Ein (teilweise) ernster Blogeintrag in einer ernsten Zeit. Aber wenn wir noch eine Weile hier eingeschlossen sitzen bleiben, werden sicher noch einige weniger ernste Beiträge dazu folgen. Denn: Der gegenwärtigen Situation lässt sich nur mit (schwarzem) Humor begegnen.


Kolbenfresser #2

Das werden wir sicher vermissen ...

... und das auch.