Montag, 15. Juli 2019

Fatalismus

Wie gewohnt beginnen wir auch heute mit den neuesten Nachrichten zu unserem pflegebedürftigen skandinavischen Familienmitglied. Um wenigstens etwas deutsche Ordnung ins Spiel zu bringen, hatte ich mir vorgenommen, die  duct/duck-tape-Befestigung des linken Außenspiegelglases fachmännisch zu ersetzen. Hierzu wurde extra aus Deutschland EIN Ersatzteil herangeschafft. Man ahnt es schon: es wäre clever gewesen, vor der Bestellung auch mal den rechten Außenspiegel zu prüfen und ggf. ZWEI Spiegelgläser zu ordern. So hat sich nun die Situation dahingehend geändert, dass sich der linke Außenspiegel in tadellosem Zustand befindet, währenddessen das Tape von links nach rechts gewandert ist. Als Belohnung für meine Pflegebemühungen gesellt sich im Laufe des Monats ein ABS-Problem zu den bestehenden Wehwehchen hinzu. Also ab zum Schrauber unseres Vertrauens (haha) und das Problem geschildert. Zurück kommt das Auto von Selbigem mit einer Rechnung über diverse Extras, die nur teilweise so abgesprochen und auch nur teilweise nötig waren. Neuer Kraftstofffilter, Ölfilter, ausgewuchtete Räder, zwei neue Reifen, neue Wischerblätter, etc. Kein Posten auf der Rechnung lässt sich allerdings mit dem ABS in Zusammenhang bringen. Auf Nachfrage ist man etwas verdutzt, macht eine Probefahrt, und ist dann der Meinung, dass alle Probleme behoben seien. Kaum ist die Karre vom Hof, da erscheint der freundliche Hinweis „Brake assistant service required“ im Display. Bei uns würde man die Hände überm Kopf zusammenschlagen bei derartigem Dilettantismus. Wenn man die Story allerdings einem gestandenen Südafrikaner erzählt, erntet man für gewöhnlich ein müdes Lächeln sowie die Erzählung von einer nahezu beliebigen Anzahl von weiteren, ähnlich gelagerten Anekdoten. Als ordentlicher Deutscher muss man hier vor allem eins lernen: Puls runter bringen und die unabänderlichen Fügungen des Schicksals mit stoischer Ruhe zur Kenntnis nehmen … umgangssprachlich nennt man das wohl Fatalismus. Gelegenheit uns darin zu üben hatten wir im vergangenen Monat genug. Zum Beleg dessen schildere ich im Folgenden eine Auswahl an Begebenheiten, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Zunächst einmal beschließen wir Anfang Juni, dass es an der Zeit sei, die etwas eingerosteten und (zumindest bei mir) erste Alterserscheinungen aufweisenden Körper wieder in Schwung zu bringen, wozu sich ein lokales Mountainbike-Rennen aus der Kategorie „Rund um die Mülltonne“ im West-Coast-National-Park anbietet. Der eine oder andere wird sich vielleicht noch daran erinnern: als Laura dort letztes Jahr teilnahm, lief dieses unter der Kategorie „very little sand“. Dieses mal können wir sogar beide am Start Aufstellung nehmen, da mit Lauras Schwester und ihrem Freund praktischerweise eine temporäre Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Da wir beide keine Mitglieder der hiesigen Mountainbiker-Sekte sind, müssen wir uns allerdings aus dem sechsten und letzten Startblock rund zwölf Minuten nach den ersten Startern auf die Strecke begeben. Uns stört das wenig, da es ja wie bereits angedeutet nur darum geht, die Körper aus dem Tiefschlaf zu wecken (sowie uns zwei bis drei Stunden kinderfrei zu ergaunern). Nachdem wir die ersten Kilometer gemeinsam absolviert haben, verabschiede ich mich nach vorn und führe mein persönliches Einzelzeitfahren durch. Offenbar kann ich dies auch in desolatem Trainingszustand noch ganz gut, denn es stellt sich im Nachgang heraus, dass ich die Strecke vier Minuten schneller als die erste Gruppe aus dem ersten Startblock zurückgelegt habe. Aufgrund der durchgeführten Nettozeitnahme befördert mich dies gemäß dem Reglement auf den ersten Platz … so jedenfalls meine Interpretation. Die Realität sieht allerdings so aus, dass ich mit der Begründung einer „impossible performance“ knallhart vom Zeitnehmer disqualifiziert werde. Dies wiederum geht mir dann bei allem Fatalismus so gegen den Strich, dass ich als „Beweis“ meine GPS-Daten zur Verfügung stelle. Im Resultat erhalte ich nach einigem E-Mail-Hin-und-Her einen netten Anruf, dass meine Leistung immer noch als „impossible“ eingeschätzt werde. Nach 15-minütiger Diskussion – der Begriff Argumentation verbietet sich – reißt mir die Hutschnur. Soweit ich mich erinnern kann, schreie ich zum ersten Mal in meinem Leben in einen Telefonhörer und teile der Dame am anderen Ende mit, dass sie doch machen solle was sie für richtig halte und lege anschließend auf. Unter Einbeziehung meiner genetisch bedingten Sprachlautstärke, könnte ich mir vorstellen, dass der Lautsprecher am anderen Ende dabei geringfügig übersteuert … in jedem Fall bin ich hier im Fatalisten-Test mit Note sechs durchgefallen. Zu meiner Rechtfertigung will ich aber noch anführen, dass es die Dame geschafft hat, in punkto scharfsinniger Argumentationsführung die gute Frau von Mobilcom-Debitel zu schlagen, die mir vor Jahren mal voller Überzeugung die mathematische Relation 39,90<29,90 näher bringen wollte. Selbstverständlich entschuldige ich mich im Nachgang per E-Mail höflich für mein Fehlverhalten und lege meinen Standpunkt noch einmal in allen Einzelheiten dar. Weil ich manchmal ein Ar***loch bin, kann ich es mir jedoch nicht verkneifen, die E-Mail in Kopie an zwei weitere Adressaten zu senden, die sich die Zeitnahme-Firma sicher gern als Kunden erhalten will. Die gewünschte Wirkung tritt dann binnen kürzester Zeit ein … (http://results.racetec.co.za/results_by_event.aspx?RID=10858&EN=Yzerfontein%20Cycle%20Experience%202019%20%2878km%29)

Im weiteren Verlauf des Monats Juni erhalte ich eines schönen Nachmittags auf Arbeit den Anruf, dass gerade ein Lastwagenfahrer das Brems- und Gaspedal verwechselt habe und infolgedessen seinen LKW mit der Mauer des von uns bewohnten Grundstücks verheiratet habe. Als ich nach Hause komme, kann ich nur noch die Diagnose „Totalschaden“ zur Kenntnis nehmen – und zwar nicht am Laster, sondern an der Mauer und dem Tor. Hier kann nur noch ein kompletter Abriss und Neuaufbau helfen. Glücklicherweise sind die Vermieter versichert, denn auf Haftpflicht und dergleichen kann man hier ja nicht hoffen. Selbstverständlich wird im Folgenden eine mehrfache umfangreiche Begutachtung des Offensichtlichen nötig. Letztlich gelangt auch die Versicherung zu der bahnbrechenden Erkenntnis, dass hier nicht zu kitten ist. Damit ist die Bahn frei für einen Trupp von rund zehn Bauarbeitern, der die Mauer per feinster Handarbeit endgültig dem Erdboden gleich macht. Arbeitskraft kostet in Südafrika praktisch nichts und niemand würde auf die Idee kommen, hierzu maschinelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der sich im Anschluss bietende Anblick verursacht allerdings selbst bei eingefleischten Kapstädtern Bluthochdruck, Schwindel und Herzrasen. Denn: Wir haben nun keine Mauer und kein Tor mehr; und dies wiederum ist in den Köpfen vieler unausweichlich damit gleichzusetzen, dass man ausgeraubt werden wird. Auch wenn die Lage sicher suboptimal ist, scheint die Prognose dann doch nicht ganz so düster zu sein, denn wir sind nun mittlerweile schon seit zwei Wochen ohne Mauer und haben bisher keine Unregelmäßigkeiten feststellen können. Die typische südafrikanische Arbeitsgeschwindigkeit lässt sich auch durch das in den Ring werfen von viel Personal nur bedingt kompensieren und so zieht sich der Wiederaufbau hin. Bei einer Arbeitszeit von zehn bis drei bleibt zwischen dem Anmischen des Betons, was selbstverständlich per Schaufel auf dem Boden geschieht, und dem Räumen der Baustelle nur Zeit für das Setzen von einer Handvoll von Ziegelsteinen … ich hoffe, dass ich im nächsten Blog die Vollendung des Jahrhundert-Bauwerks bekanntgeben kann ohne dabei doch noch den Verlust des Wohnungsinhalts konstatieren zu müssen.

Nach dem Einschlag

Den eigentlichen Höhepunkt des Monats Juni stellt allerdings die Einreichung unseres Visums-Verlängerungsantrages dar. Im Folgenden werde ich die Geschehnisse stark kürzen und mich nur aufs Wesentlichste beschränken, um den Rahmen nicht vollends zu sprengen. Die beim Antrag lauernden Tücken hatte ich im letzten Blog schon angedeutet, allerdings kommt es ja meistens anders (und vor allem schlimmer) als man denkt. Zunächst einmal muss man sagen, dass auf den ersten Blick die Situation übersichtlich erscheint. Die Antragseinreichungsprozedur ist in Südafrika, wie in vielen anderen Ländern der Welt auch, zum internationalen Dienstleister VFS Global ausgelagert. Letzterer verdient sich mit dem Entgegennehmen und Weiterleiten von Visumsanträgen (die Begutachtung wird natürlich immer noch vom Department of Home Affairs durchgeführt) eine goldene Nase. Für uns werden nur für die Einreichung beispielsweise um die 500 Euro Gebühr fällig. Im Verlaufe eines der Antragseinreichung vorgeschalteten Online-Prozesses bekommen wir eine Checklist, die Auskunft über die benötigten Dokumente gibt. Letztere hängt auch als Anhang dem Immigration Act an und macht daher zunächst einen vertrauenswürdigen Eindruck. Bei näherer Betrachtung ist die Sache aber doch komplex, da die Liste mehr oder weniger lediglich Auskunft über allgemeine Anforderungen gibt. Dass man beispielsweise „ausreichende finanzielle Mittel“ durch originale, mit Bankstempel und Unterschrift versehene Kontoauszüge der letzten drei Monate, welche am Ende des Tages einen durch den Minister festgelegten Betrag x ausweisen müssen, nachweist, muss man schon durch Eigenrecherche herausfinden. Da es im Internet nur bedingt zuverlässige Informationen gibt und das Department of Home Affairs in steter Regelmäßigkeit die Details der Verwaltungsvorschriften ändert, ist dies äußerst mühsam. Abhilfe kann hier das Hinzuziehen einer Consulting-Firma schaffen. Diese Firmen verdienen sich wiederum eine goldene Nase durch das Zur-Verfügung-Stellen von eindeutigeren Informationen. Den Aufwand, die Dokumente herbeizuschaffen, hat man dann selbstredend immer noch. Man erkläre beispielsweise mal einer deutschen Bank, dass man auf jeder Seite gestempelte und unterschriebene Kontoauszüge braucht und versuche dann, diese in endlicher Zeit auf dem Postweg nach Südafrika zu befördern (um Letzteres zum Erfolg zu führen, muss man dafür Sorge tragen, dass die südafrikanische Post nirgends ihre Finger im Spiel hat). Dennoch lasse ich mir ein Angebot von einer Consulting-Firma machen, kollabiere aber beinahe bei Anblick des Kostenvoranschlages. Also wird entschieden, den Vorgang in Eigenregie durchzuziehen. Bei der Erstbeantragung des Visums hat das ja auch schon funktioniert. Nachdem wir schließlich der Meinung sind, alle unsere Unterlagen zusammen zu haben, geht es zu VFS Global. Auf der Fahrt dorthin stellen wir zunächst fest, dass wir zwar viel Papier, aber weder Windeln noch Feuchttücher für Klara dabei haben. Zum Glück sind wir pünktlich, sodass wir noch fix welche kaufen können … denken wir jedenfalls. Dabei haben wir die Rechnung ohne die südafrikanischen Banken gemacht. Denn beim Kreditkartensystem braten diese ihr eigenes Würstchen, was dazu führt, dass hin und wieder keine ausländischen Karten akzeptiert werden, ganz wie man es sich von einem internationalen Zahlungsmittel erwartet. Damit stehen wir etwas dumm an der Kasse, während sich hinter uns eine Schlange bildet. Glücklicherweise findet sich in den Tiefen der Ablagen unseres schwedischen Pflegekinds noch eine kleine Menge Bargeld, mit der sich das Dilemma letztendlich auflösen lässt. Schließlich bei VFS angekommen, äußert Klara eindeutig ihre Meinung zu dem Laden: Diagnose „Sch*** des Jahres“. Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln haben wir im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun, die Situation unter Kontrolle zu bringen ohne den gesamten Wartebereich zu kontaminieren. Nachdem diese Klippe umschifft ist, darf ich zur Einreichung schreiten. Zunächst wird mir klar gemacht, dass ich ja wohl einen an der Waffel habe, handschriftlich Ergänzungen auf südafrikanischen Formularen vorzunehmen. Tatsächlich hatte ich mir erlaubt, eine Fußnote im Visumsantragsformular zu machen. Nicht weil mir einfach mal danach war, sondern weil ich Konsistenz mit dem Satz herstellen wollte, der da sinngemäß lautet „Ich erkläre hiermit, dass alle Angaben richtig sind“. Dabei hatte ich ganz vergessen, dass die Formulare hierzulande per Definition fehlerfrei sind. Wie dem auch sei, das Verhältnis zwischen mir und der Frau am Schalter ist von da an nachhaltig gestört. Als nächstes erklärt sie mir, dass jede Menge Dokumente fehlen würden. Hierauf kann ich nur (mit finsterer Miene) entgegnen, dass ich penibelst die Checklist abgearbeitet habe, die mir von VFS zur Verfügung gestellt wurde. Daraufhin stellt sie sich tot. Glücklicherweise redet sie noch von Frau zu Frau mit Laura. Schließlich wird der Manager der Filiale herangeholt, der uns nach einer eingehenden Untersuchung bekannt gibt, dass wir aufgrund eines Fehlers im Computersystem von VFS die falsche Checklist bekommen haben. Dies ist etwas merkwürdig, denn die Checklist hängt wie schon gesagt eins zu eins dem Immigration Act an. Es nützt aber alles nichts, denn im Immigration Act steht auch, dass das Department of Home Affairs berechtigt ist, alle erdenklichen Unterlagen anzufordern, nach denen ihm der Sinn steht. Entsprechend stehen wir jetzt mit der Checklist v2.0 da, welche mich dem Nervenzusammenbruch nahe bringt. Da das Department of Home Affairs offenbar nicht in der Lage ist, unsere Anträge gesammelt zu begutachten (ich sehe es schon kommen, dass wir alle Visa kriegen, während Klara ohne da steht), werde ich in den folgenden Tagen unter anderem ca. 100 Seiten Kopien bei der Polizei beglaubigen lassen. Letzterer Vorgang wäre schon einen eigenen Blog wert, aber ich will jetzt endlich zum Schluss kommen. Schließlich reichen wir am nachfolgenden Donnerstag in einem zweiten Versuch unsere Anträge ein. Nach einem zweistündigen Prozedere verlassen wir die VFS-Sauna infolge einer offensichtlichen Fehlregulierung der dortigen Klimaanlage mit hochroten Köpfen. Immerhin sind wir dabei ruhig geblieben und haben damit den Fatalisten-Test endgültig bestanden …

Vor dem ersten Besuch bei VFS
Vor dem zweiten Besuch bei VFS

Gegen die Kälte